Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger (Grüne, Oberösterreich): Guten Morgen, sehr geehrter Herr Minister! Meine Frage:

1962/M-BR/2024

„Was tun Sie für den Kampf gegen die 2-Klassen-Medizin?“

Präsidentin Margit Göll: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Johannes Rauch: Schönen guten Morgen! Frau Präsidentin! Geschätzte Bundesrätinnen und Bundesräte! Wir haben im Bereich der Zweiklassenmedizin im Zuge des Finanzausgleichs – das haben wir in diesem Haus auch schon diskutiert – eine weitreichende Übereinkunft getroffen, um die Situation zu verbessern.

Unzweifelhaft ist es so, dass wir in Österreich im Gesundheitssystem eine – wie soll ich es nennen? –Fehlallokation haben. Es gibt im niedergelassenen fachärztlichen und kassenärztlichen Bereich vor allem eine Mangelerscheinung. Wir haben jetzt im Zuge des Finanzausgleichs zwischen Bund, Ländern und Sozialversicherung die 15a-Vereinbarung eingerichtet, in der es einfach darum geht, die Leistungssituation, die Versorgungssituation zu verbessern.

Das kann nur erreicht werden, wenn es einen niederschwelligen bedarfsgerechten Zugang zum Gesundheitssystem gibt, insbesondere auch für alle, weil es mir ein wichtiges Anliegen ist, dass Gesundheit nicht abhängig davon sein darf, ob man in einem bestimmten Bundesland wohnt, einer bestimmten Einkommensklasse angehört oder eben nicht.

Die jüngsten Maßnahmen, die in Wirksamkeit kommen, sind: die Schaffung von zusätzlichen 100 ärztlichen Vertragsstellen. Das läuft sehr erfreulich, kann ich berichten, weil es für diese 100 Stellen mehr als 400 Bewerbungen gibt. Da gibt es auch eine Kontingentierung, eine Aufteilung entsprechend dem Bevölkerungsschlüssel auf die Bundesländer, damit nicht einzelne Bundesländer bevorzugt werden. Es wird auch eine Reihung nach Bedarf geben. Also dort, wo der fachliche Bedarf besonders groß ist, wird das natürlich vorrangig behandelt.

Wir haben auch eine Flexibilisierung bei den Einzelverträgen verhandelt. Wurde eine Stelle mindestens zweimal erfolglos ausgeschrieben, besteht zur Aufrechterhaltung der Versorgung bis zum Abschluss eines Einzelvertrages die Möglichkeit, die Stelle für einige Stunden in der Woche zu besetzen. Das ist also eine deutliche Flexibilisierung auch in der Ausgestaltung.

Es gibt einen Startbonus für die Besetzung bestimmter Vertragsstellen für den Zeitraum vom 1. August 2023 bis zum 31. Dezember 2024 von maximal 100 000 Euro. Davon sind sowohl die seit Längerem unbesetzten Planstellen als auch die 100 zusätzlich geschaffenen Stellen umfasst.

Wir haben die klinisch-psychologische Behandlung durch Psychologinnen und Psychologen der ärztlichen Hilfe gleichgestellt. Auch da wird die Situation deutlich verbessert.

Die Abrechnung der Wahlarzthilfe ist so festgelegt, dass auch Wahlärztinnen und Wahlärzte, um eben einen Anreiz zu schaffen, nicht automatisch in die Wahlarztpraxis zu gehen, sondern sich sozusagen die Kassenstelle auszusuchen, künftig verpflichtet werden, sich an Elga, an das E-Card-System anzubinden. Wir gehen davon aus, dass das logischerweise dazu führen wird, dass sich die Versorgung im kassenärztlichen Bereich verbessern wird.

Der Facharzt für Allgemeinmedizin – auch unlängst im Bundesrat behandelt – ist ein weiterer Baustein, der, wie ich glaube, dazu beitragen wird, die Versorgung insgesamt zu verbessern.

Grundsätzlich glaube ich, um es noch zu erwähnen, dass insbesondere auch – wir werden darauf vielleicht noch zu sprechen kommen – die Einrichtung und Ausweitung der Primärversorgungseinrichtungen wesentlich dazu beitragen wird, dass sich die Versorgung verbessert. Warum ist das so? – Es gab bis vor der Novellierung des Primärversorgungsgesetzes 30 PVEs. Wir haben dann einige Hürden abgeschafft, unter anderem die Vetomöglichkeit der Ärztekammer. Seither hat sich die Anzahl der PVEs massiv erhöht: Wir stehen jetzt bei 60, 30 sind in der Pipeline, einige davon sind Kinder-PVEs. Die PVEs sind deshalb für die Versorgung und auch für die Verbesserung im Hinblick auf ein Zurückdrängen der Zweiklassenmedizin so wichtig, weil damit gewährleistet ist, dass die Öffnungszeiten deutlich ausgeweitet sind. Das heißt, ein Primärversorgungszentrum kann im Unterschied zu einer Einzelpraxis eben nicht nur durch das Angebot vieler Professionen, sondern auch durch die Ausweitung der Öffnungszeiten ein deutlich weitreichenderes Angebot bieten: ganztägig und auch an sechs, manchmal sieben Tagen die Woche.

Präsidentin Margit Göll: Frau Bundesrätin, wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger (Grüne, Oberösterreich): Vielen Dank zuerst einmal für die umfangreiche Beantwortung und insbesondere für die vielen Maßnahmen, die jetzt ergriffen worden sind, die uns da jetzt ja wirklich nach vorne bringen.

Jetzt möchte ich aber trotzdem noch ein bisschen spezifizieren: Sie haben die 15a-Vereinbarung schon erwähnt, aber vielleicht können Sie noch ein paar Worte zu den konkreten Mitteln, die im Kampf gegen die Zweiklassenmedizin vorgesehen sind, sagen.

Präsidentin Margit Göll: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Johannes Rauch: Wie Sie wissen, waren ja in der letzten Finanzausgleichsperiode zwischen Bund, Ländern und Gemeinden etwa 300 Millionen Euro als zusätzliche Mittel ohne Zweckbindung im Spiel. Jetzt sind es 1 Milliarde Euro plus zusätzlich pro Jahr für die Gesundheit und etwa zusätzlich 1 Milliarde Euro plus für die Pflege. Konkret teilt sich das so auf, dass für die Stärkung des niedergelassenen Bereichs die Sozialversicherung überhaupt erstmals in der Geschichte Steuermittel in der Höhe von 300 Millionen Euro pro Jahr bekommt, um eben die Versorgung auszuweiten. Das sind über die Laufzeit 1,5 Milliarden Euro zur Stärkung des spitalsambulanten Bereichs. Für die Strukturreformen ist die Staffelung während der Laufzeit so, dass wir 2024 mit 550 Millionen Euro beginnen und sich das dann auf 656 Millionen Euro im Jahr 2028 steigert.

Zusätzlich gibt es Mittel für die Digitalisierung, Telemedizin in der Höhe von 51 Millionen Euro jährlich. Es gibt für die Gesundheitsförderung, das ist ein Bereich, der bisher völlig unterbelichtet war, jährlich 60 Millionen Euro. Es gibt für ein nationales Impfprogramm, das wir bisher nicht hatten, jährlich 90 Millionen Euro, und es gibt zur Sicherung der Medikamentenversorgung 3 Millionen Euro pro Jahr. Dazu kommt, dass, wie ich gesagt habe, die 100 neuen ärztlichen Vertragsstellen dotiert und alimentiert werden. Für den Startbonus stehen 10 Millionen Euro zur Verfügung. Für die klinisch-psychologische Behandlung leistet der Bund 2024 einen Beitrag in der Höhe von 50 Millionen Euro und 2025 einen weiteren Beitrag in Höhe von 25 Millionen Euro. (Bundesrätin Hauschildt-Buschberger: Vielen Dank, Herr Minister!)

Präsidentin Margit Göll: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Günther Ruprecht zu Wort gemeldet. – Bitte.

Bundesrat Günther Ruprecht (ÖVP, Steiermark): Schönen guten Morgen, Herr Bundesminister! Frau Präsidentin! Meine Frage geht auch in Richtung Primärversorgungseinheiten, und zwar betrifft sie die Gründung von Primärversorgungseinheiten. Die Ermöglichung von Kinder-PVEs ist ein guter und wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Wie stehen Sie zur Ermöglichung von PVEs auch für andere medizinische Fächer, beispielsweise innere Medizin oder auch Gynäkologie?

Präsidentin Margit Göll: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Johannes Rauch: Grundsätzlich sind wir ja auch deswegen in der Lage, mit den PVEs so voranzuschreiten, weil es dafür Fördermittel von der Europäischen Union gibt. Es wird im Zuge der Abrechnung dieser Fördermittel auch eine Evaluierung der PVEs geben – einmal so grundsätzlich dazu –, bei der auch die Frage gestellt wird, wie das jetzt funktioniert. Wir haben ja jetzt schon die Möglichkeit, dass PVEs die Gynäkologie oder auch die Interne als ergänzende Fachrichtungen mitnehmen, wenn sie entsprechende Vertragsgestaltungen mit den Fachgesellschaften oder den Fächern oder mit konkreten Anbietern haben – das findet statt.

Es findet statt, und das finde ich auch gut, weil die PVEs eine Steuerwirkung in der Primärversorgung und eine Verlagerung von Patientinnen und Patienten aus den Ambulanzen hinaus in die PVEs entfachen sollen. Bereits jetzt arbeiten Spitalsambulanzen mit PVEs zusammen und Zuweisungen finden statt, um eben die Überlastung der Spitalsambulanzen hintanzuhalten.

Grundsätzlich: Die Gyn kann mitarbeiten, aber sie kann noch nicht gründen, das ist richtig so. Dafür bräuchte es eine Anpassung oder eine Veränderung des Primärversorgungsgesetzes. Diese wird wohl entlang einer Evaluierung, die es auch im Zuge der Rechtfertigung gegenüber der Europäischen Union geben wird, dann zum Jahresende hin stattfinden. (Bundesrat Ruprecht: Vielen Dank, Herr Bundesminister!)

Präsidentin Margit Göll: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Dominik Reisinger zu Wort gemeldet. – Bitte sehr.

Bundesrat Dominik Reisinger (SPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Geschätzter Bundesrat! 55 Prozent der heimischen Hausärzt:innen sind bereits Wahlärzt:innen. Noch schlimmer ist es im Bereich der Fachärzt:innen: Mit 1.1.2023 waren bereits 70 Prozent – das ist ein sehr hoher Wert – als Wahlärzt:innen tätig. Auf der anderen Seite ist die Zahl der unbesetzten Hausarztstellen innerhalb von nur 2,5 Jahren um 68 Prozent explodiert: 2020 waren es noch 62, bis 1.1.2023 ist die Zahl auf 104 angestiegen.

Meine Frage ist daher: Was unternehmen Sie, damit diese Flucht aus den Kassenverträgen durch die Ärztinnen und Ärzte aufhört und Wahlärzt:innen wieder ins Kassensystem zurückgeholt werden?

Präsidentin Margit Göll: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Johannes Rauch: Zu Ihrer Frage: Der Zustand ist richtig konstatiert, und die Gesundheitsreform hat ja die Zielsetzung, die Voraussetzung zu schaffen, dass sich das verändert.

Da gibt es in meinen Augen zwei ganz wesentliche Zugänge: Der eine ist die Vertragssituation – die Attraktivität von Kassenstellen zu stärken. Es ist auch Aufgabe der Sozialversicherung, jetzt die Verhandlungen für einen einheitlichen Gesamtvertrag und einen einheitlichen Leistungskatalog voranzutreiben. Diese Verhandlungen mit der Ärztekammer laufen bereits seit Längerem – unzweifelhaft muss logischerweise die Attraktivität von Kassenstellen angehoben werden. Das hat auch damit zu tun, dass da mehr Flexibilität hinein muss, man sich die Abgeltung anschaut und auch Leistungen mit abgegolten werden, die jetzt nicht abgegolten sind, um dort die Arbeitsbedingungen zu verbessern.

Der zweite Punkt ist schon auch, die – wie soll ich sagen – Spielregeln gleich zu gestalten. Das habe ich beispielsweise mit der verpflichtenden Diagnosecodierung, die für alle wird stattfinden müssen, und auch der Anbindung an Elga gemeint.

Es wird nur gelingen, diesen Zug in die Wahlarztpraxen zu unterbinden, wenn es attraktiver wird, einen Kassenvertrag anzunehmen – daran wird gearbeitet, Stichwort Gesamtvertrag, Leistungskatalog, 300 Millionen Euro zusätzlich für Stellen –, und wenn es auch die Möglichkeit gibt, flexibler beispielsweise vom Spitalsbereich in den kassenärztlichen Bereich umzusteigen. Das heißt, wenn jemand im Spital beschäftigt ist – das ist, wie Sie wissen, Länderzuständigkeit –, aber Interesse hat, in eine niedergelassene Ordination zu gehen, dann ist das jetzt nur sehr schwer möglich und wird dann oft in einer Wahlarztpraxis stattfinden. Der Zugang ist jetzt, den Menschen im Spital, die sich überlegen, eine Kassenordi aufzumachen, diese Möglichkeit zu bieten: Teilzeit im Spital, Teilzeit in der Ordi, aber in einer Kassenordination.

Das heißt, es muss auf allen Ebenen die Attraktivität gesteigert werden – und das tun wir –, in den kassenärztlichen Bereich zu gehen.

Präsidentin Margit Göll: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Frau Bundesrätin Mag. Isabella Theuermann zu Wort gemeldet. Ich bitte darum.

Bundesrätin Mag. Isabella Theuermann (FPÖ, Kärnten): Herr Bundesminister, ein Patient in Kärnten erhält noch immer weniger Zuschüsse und Leistungen der ÖGK als zum Beispiel ein Patient in Oberösterreich. Warum blockiert die Regierung immer noch die Harmonisierung der Sozialversicherungen?

Präsidentin Margit Göll: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Johannes Rauch: Darf ich um eine Präzisierung bitten? Inwiefern blockiert die Regierung die Harmonisierung der Sozialversicherungen?

Bundesrätin Mag. Isabella Theuermann (FPÖ, Kärnten): Ein Patient in Kärnten bekommt weniger Leistungen als ein Patient in Oberösterreich.

Präsidentin Margit Göll: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Johannes Rauch: Die Vertragsgestaltung ist Sache der Sozialversicherungen und der Ärztekammer, auch die Abgeltung der Leistungen. Diese Harmonisierung ist Verhandlungsgegenstand zwischen Sozialversicherung und Ärzteschaft. Bei der Harmonisierung der Leistungen ist, wie gesagt, die Aufgabe, einen einheitlichen Leistungskatalog und auch eine einheitliche Abgeltung zustande zu bekommen. Das ist jetzt Zielsetzung der Sozialversicherung.

Präsidentin Margit Göll: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Mag. Dr. Karl-Arthur Arlamovsky zu Wort gemeldet. – Bitte.

Bundesrat MMag. Dr. Karl-Arthur Arlamovsky (NEOS, Wien): Sehr geehrter Herr Bundesminister, Sie haben schon die Initiative plus 100 angesprochen. Wann ist mit mehr Informationen über die regionale Fächerverteilung dieser 100 zusätzlichen Kassenstellen zu rechnen?

Präsidentin Margit Göll: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Johannes Rauch: Die Verteilung der Stellen auf die Bundesländer – das habe ich gesagt – erfolgt entlang des Bevölkerungsschlüssels. Ich könnte die Information nachliefern, müsste aber den aktuellen Stand bei der Sozialversicherung erfragen – das werde ich gerne machen.

Präsidentin Margit Göll: Wir gelangen nun zur 2. Anfrage, 1958/M-BR/2024.

Ich bitte die Anfragestellerin, Frau Bundesrätin Heike Eder, um die Verlesung der Anfrage.