Bundesrätin Heike Eder, BSc MBA (ÖVP, Vorarlberg): Guten Morgen, Herr Minister! Wie ist denn der Stand der Umsetzung beim kürzlich präsentierten Projekt zur Förderung der Inklusion von Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt – Stichwort Lohn statt Taschengeld?

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Die schriftliche eingebrachte Anfrage, 1958/M-BR/2024, hat folgenden Wortlaut:

„Wie ist der Stand der Umsetzung beim kürzlich präsentierten Projekt zur Förderung der Inklusion von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsmarkt, das einen fairen ‚Lohn statt Taschengeld‘ vorsieht?“

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Präsidentin Margit Göll: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Johannes Rauch: Danke für die Frage. Auch dazu eine etwas umfassendere Antwort zu Beginn, weil erstens das Thema wichtig ist und zweitens auch ganz viel an Vorarbeiten geleistet worden ist: Grundlage war, dass wir zunächst einmal vom NPO-Kompetenzzentrum der Wirtschaftsuniversität in Wien eine Studie haben erstellen lassen, um einfach überhaupt einmal zu wissen, wie die Auswirkungen dieser sehr komplexen Finanzierungsströme zwischen Bund, Ländern und Sozialversicherung sind, wenn in den Tagesstrukturen selbst ein Lohn ausbezahlt wird.

Die Bundesregierung hat dann in Abstimmung mit den Bundesländern bei Lohn statt Taschengeld beschlossen, in einem ersten wichtigen Schritt – da muss ich gleich dazu sagen, wir als Bundesregierung sind oder ich bin bemüht, Pilotprojekte auf den Weg zu bekommen und auch mit finanziellen Anreizen in Vorlage zu gehen, obwohl die Zuständigkeit per se bei den Bundesländern liegt; das gilt in vielen anderen Bereichen auch, es ist auch bei der persönlichen Assistenz in etwa so gewesen, bei der wir jetzt auf einem guten Weg sind, bei der eigentlich alle Bundesländer bis auf Oberösterreich mitmachen, die muss man noch überzeugen – 36 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen, um im Zuge von Pilotprojekten diese echte, klassische Teilnahme von Menschen zu ermöglichen.

Wir möchten allerdings auch, dass Menschen mit Behinderungen sozusagen arbeitsmarktnahe und nicht vor allem in den Einrichtungen diese Möglichkeit haben, denn die UN-Behindertenrechtskonvention normiert das auch: Deinstitutionalisierung ist ein wesentliches Ziel der UN-Behindertenrechtskonvention, das heißt: hinaus aus den klassischen Einrichtungen, hinein in die – unter Anführungszeichen – „Normalität“ des Arbeitsmarktes.

Das ist unser Zugang, und da gibt es eine ganz breit gefächerte Reihe von Möglichkeiten, diese Beschäftigungen auch aufzunehmen: Das kann sein, dass Menschen in Einrichtungen quasi in einem eigenen Segment beschäftigt sind, aber geförderterweise für einen bestimmten Betrieb arbeiten; das kann über integrative Betriebe oder bestehende Arbeitsprojekte sein; das kann innerhalb eines Betriebes sein, wo dann die Förderung stattfindet.

Die Zielsetzung bleibt jedenfalls, dass das Modell des klassischen Taschengelds – das eine Ungleichbehandlung darstellt, das wissen wir – abgelöst wird und es eben durch einen Lohn ersetzt wird, der gleichzeitig natürlich auch eine sozialversicherungsrechtliche, pensionsrechtliche Absicherung bedeutet.

Im Moment arbeiten wir an den Förderkriterien – um das auch noch dazuzusagen –, in Abstimmung mit den Interessenvertretungen, den Trägereinrichtungen in den Ländern, und das Ergebnis dieser Förderrichtlinie soll sein, dass eben gestaffelt nach Inklusion am Arbeitsmarkt die Förderung ausbezahlt wird, immer mit der Zielsetzung: Integration steht vor allem anderen. Die Richtlinie soll noch vor dem heurigen Sommer, also vor dem Sommer 2024 in Kraft gesetzt werden.

Präsidentin Margit Göll: Ist eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Bundesrätin Heike Eder, BSc MBA (ÖVP, Vorarlberg): Herr Minister! Ich war in den letzten paar Wochen in einigen Einrichtungen in Vorarlberg unterwegs, unter anderem auch im Sunnahof in Tufers, dort werden diese Maßnahmen sehr positiv aufgenommen.

Wir haben in Vorarlberg ja einige Mustermodelle zur Integration von Menschen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt, wie zum Beispiel Jobkombi, IFS Spagat oder die Jobassistenz und viele anderen auch.

Was uns Vorarlberger natürlich immer interessieren würde: Fallen diese Projekte, diese vielen Musterprojekte, dann auch in diese Förderrichtlinien?

Präsidentin Margit Göll: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Johannes Rauch: Die kurze Antwort lautet: Ja. Es ist auch so, dass wir in den Bundesländern durchaus unterschiedliche Voraussetzungen vorfinden. Darum ist es auch nicht ganz einfach, diese Förderkriterien so auszuarbeiten, dass alle sich wiederfinden. Die Zielsetzung soll schon sein, dass möglichst viele sich beteiligen können und bestehende Dinge mitgenommen werden, weil es keinen Sinn hat, Dinge mit viel Geld neu zu erfinden oder neu aufsetzen zu müssen, wenn schon welche da sind.

Die zitierten Beispiele, die ich selber kenne – und Vorarlberg ist da ein Musterbeispiel –, fallen natürlich hinein, weil sie ja im Sinne einer Integration, einer umfassenden Beschäftigung bereits Möglichkeiten bieten und jedenfalls in Vorarlberg bereits auch Kooperationen zwischen gemeinnützigen Beschäftigungsprojekten, die AMS-finanziert sind, und klassischen Behinderteneinrichtungen, wo es eben genau darum geht, die Gleichheit auch in der Abrechnung und in der Bezahlung herzustellen, vorhanden sind. Ich glaube, dass das eine gute Voraussetzung ist und dass Vorarlberg gute Voraussetzungen hat, das erfolgreich umzusetzen.

Präsidentin Margit Göll: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Frau Bundesrätin Doris Hahn zu Wort gemeldet. – Bitte sehr.

Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA (SPÖ, Niederösterreich): Frau Präsidentin! Geschätzter Herr Minister! Im vergangenen August hat ja der UN-Fachausschuss mittlerweile schon zum zweiten Mal den Umsetzungsstand in Österreich seit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention 2008 kontrolliert und er hat erneut – muss man leider sagen – und immer noch teils wirklich gravierende Mängel in der Umsetzung festgestellt, nicht zuletzt und leider ganz besonders auch im Zusammenhang mit inklusiver Bildung und Bildungseinrichtungen, aber auch in vielen anderen Bereichen.

Daher meine konkrete Frage: Wann und mit welchen Maßnahmen werden Sie die Empfehlungen der UN-Behindertenrechtskonvention endlich in Umsetzung bringen?

Präsidentin Margit Göll: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Johannes Rauch: Ich kann hier nur für meinen eigenen Bereich reden, das ist nicht der Bildungsbereich – und ich weiß sehr wohl auch um die Defizite, die wir dort haben. Ich sage es an dieser Stelle, weil es die Länderkammer ist, auch mit einiger Deutlichkeit: Ich halte die Weigerung mancher Bundesländer, die Sonderschulen abzuschaffen, für nicht mehr adäquat und nicht mehr zeitgemäß. Das muss man einfach mit dieser Deutlichkeit auch sagen. Wenn wir es nicht schaffen, dort – damit bin ich schon beim Bildungsbereich – die Grundvoraussetzungen für Inklusion zu schaffen, dann werden wir später auch scheitern.

In meinem Bereich haben wir entlang der Staatenprüfung und des Berichtes, der abgeliefert worden ist, einen detaillierten, auf jeden einzelnen Punkt eingehenden Fahrplan und eine Vorgangsweise festgelegt, wie die Defizite abzubauen sind. Ich darf für mich in Anspruch nehmen, die Budgets in den letzten beiden Jahren massiv erhöht zu haben und insbesondere für den Behindertenbereich mit der persönlichen Assistenz, der Abschaffung der Arbeitsunfähigkeitsfeststellung bis zum 25. Lebensjahr und jetzt auch mit Lohn statt Taschengeld massiv Projekte auf den Weg gebracht zu haben, die jedenfalls den berechtigten Forderungen der UN-Behindertenrechtskonvention Rechnung tragen.

Meine Haltung ist eine klare: Die UN-Behindertenrechtskonvention ist ein Staatsvertrag. Ein Staatsvertrag ist einzuhalten, es ist keine beliebige Vorschlagsgeschichte, an der man sich orientieren kann oder eben nicht.

Präsidentin Margit Göll: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Christoph Steiner zu Wort gemeldet. – Ich bitte darum.

Bundesrat Christoph Steiner (FPÖ, Tirol): Frau Präsident! Guten Morgen, Herr Minister! Sie haben jetzt einiges zu Lohn statt Taschengeld erklärt, auch zu den Verhandlungen mit den Bundesländern. Der Schritt ist positiv, das einmal vorweg: Lohn statt Taschengeld ist wirklich eine sinnvolle Geschichte und auch überfällig und dass das jetzt angegangen wird, ist ein guter, erster richtiger Schritt.

Mich würde aber interessieren, wie weit Sie schon in den Verhandlungen mit den Sozialversicherungsträgern sind, inwieweit dann auch künftig ein Pensionsanspruch daraus entstehen kann oder könnte oder sollte, weil es doch auch ein Ziel sein sollte, dass Menschen mit Behinderung auch gleich einen Pensionsanspruch haben.

Präsidentin Margit Göll: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Johannes Rauch: Das ist eine wichtige und zugegebenermaßen offene Frage, das teile ich auch. Wir haben diese Fragestellung nicht nur, wenn es darum geht, Lohn statt Taschengeld abzusichern, sondern insgesamt. Auch bei der persönlichen Assistenz wird es darum gehen, wie auch nach einem Pensionsantritt oder nach Pensionierung die persönliche Assistenz sichergestellt werden kann. Das ist eine offene Baustelle, das sage ich ganz offen, bei der es darum geht, jetzt in den Verhandlungen mit den Sozialversicherungsträgern zu Lösungen zu kommen, das auch zu finanzieren.

Das wird wohl eine gemeinschaftliche Aufgabe sein. In meinen Augen wird es dazu – aber das ist jetzt sozusagen noch ins Unreine gesprochen – wohl eine 15a-Vereinbrung brauchen, ähnlich wie bei der Gesundheitsreform, um Sozialversicherungen, Bundesländer und Bund gemeinsam dahin zu bekommen, die Absicherung, die Sie richtigerweise ansprechen, die es geben muss, auch nach dem Pensionsantritt sicherzustellen.

Präsidentin Margit Göll: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross zu Wort gemeldet.

Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross (Grüne, Vorarlberg): Herr Minister! Noch eine Frage zur Erstellung der Förderkriterien respektive Richtlinien: Wie sieht es da mit dem Prozess aus, inwieweit ist da auch ein partizipativer Prozess geplant, der auch die Institutionen oder auch die Betroffenen selbst mit einbindet?

Präsidentin Margit Göll: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Johannes Rauch: Grundsätzlich gilt sowieso in allen Bereichen, aber im Bereich der Menschen mit Behinderungen ganz besonders – wir pflegen im Ministerium seit langem diesen Grundsatz –: nicht ohne die Betroffenen. Das heißt, sie werden natürlich eingebunden, partizipativ eingebunden. Da gibt es eine eigene Arbeitsgruppe, die eingerichtet worden ist, und bei mir geht es generell, wenn es um Menschen mit Behinderung geht, nie über die Köpfe der Betroffenen hinweg, sondern immer nur um Beteiligung. Dieser partizipative Prozess ist aufgesetzt und wird auch durchgezogen.

Präsidentin Margit Göll: Wir gelangen nun zur dritten Anfrage, 1955/M-BR/2024. Ich bitte die Anfragestellerin, Frau Bundesrätin Korinna Schumann, um die Verlesung der Anfrage.