18.22

Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross (Grüne, Vorarlberg): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin! Werte Zuhörer:innen! Um uns alle wieder zurückzuholen: Wir sind bei der EU-Jahresvorschau des BMK.

Ich denke, gerade in Zeiten wie diesen zeigt sich – wir haben es heute schon gehört –, die Welt ist aus den Fugen. Gerade in Zeiten wie diesen zeigt sich, wie unerlässlich eine starke Europäische Union in der geopolitischen Perspektive ist. Es ist wichtig, auch diesen Blick zu haben und nicht nur quasi innerstaatlich auf die Nationalstaaten zu schauen. Wir müssen auch auf die EU schauen, denn die Welt befindet sich in einem Prozess der Neuordnung. Das bekommen wir alle intensiv mit, und in den nächsten Jahren wird sich entscheiden, welche Rolle Europa in der Welt einnehmen wird.

Da hängt sehr, sehr viel dran. Alle, die jetzt in der Union Kleinstaaterei betreiben und egoistische Nationalismen befördern, gefährden die Freiheit und gefährden unserer zukünftiges Wohlergehen.

Wirtschaftspolitisch hilft es da entgegen so manchen Rufen aus Interessenvertretungen allerdings nicht, dass die EU jetzt auf Steuer- und Lohndumping setzt, um attraktiv zu bleiben, oder zum Beispiel das Lieferkettengesetz torpediert. Das ist schlicht und einfach grundfalsch und kurzsichtig. Einen derartig desaströsen Wettbewerb nach unten werden wir mit Sicherheit verlieren und damit gefährden wir den Wohlstand und den Sozialstaat.

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir genau das Gegenteil tun müssen, nämlich zeigen, dass sich in der EU eine gesunde Wirtschaft mit höchsten ökologischen, sozialen und menschenrechtlichen Standards realisieren lässt, zeigen, dass eine sozialökologische Wende binnen weniger Jahrzehnte möglich ist, dass Europa ein solidarischer Kontinent ist, der seinen eigenen ethischen Ansprüchen auch über seine Grenzen hinweg gerecht wird. Wer bitte wird das sonst tun? Da ist Europa die einzige Hoffnung, und genau das kann die Stärke Europas sein. Dafür brauchen wir eine gestärkte und nicht eine geschwächte Union.

Ein wichtiger Eckpfeiler auf diesem Weg ist das Ziel der Klimaneutralität Europas – jetzt bin ich bei der Vorschau – bis spätestens 2050, in dieser Phase in wenigen Jahrzehnten eine Gesamttransformation der Wirtschaft vorzunehmen, eine Nullemissions- und Nullabfallwirtschaft zu kreieren, eine umfassende Kreislaufwirtschaft zu installieren, eine vollständig saubere Energieversorgung zu haben, ein emissionsfreies Verkehrssystem mit einem exzellenten öffentlichen Verkehrsnetz bis ins letzte europäische Dorf.

Gleichzeitig können wir eine massive Stärkung der Biodiversität vorantreiben. Wir müssen sorgsam mit unseren Böden umgehen, auf denen einen nachhaltige Landwirtschaft mit stark regionalem Charakter gepflegt wird. Das muss selbstverständlich mit einem europaweitem Sozialsystem einhergehen, das niemanden zurücklässt und die nötigen Veränderungen definitiv allen ermöglicht.

Die EU-Jahresvorschau im Bereich Energie, Klima, Verkehr und Umwelt setzt viele wichtige Akzente eben genau in diese Richtung. Auch wenn in diesem Plan jetzt nicht viel grundlegend Neues dabei ist, was vielleicht auch dem Ende der Legislaturperiode geschuldet ist, sind trotzdem viele, viele wichtige Aspekte enthalten.

Ich bin jetzt schon ein paar Lenze im Klimaschutz aktiv (Bundesrat Himmer: Das sieht man gar nicht!) und sage ganz offen und nicht das erste Mal – vielleicht hier herinnen –: Es gab in diesen ganzen Jahren im Großen und Ganzen stets eine Konstante, das waren Initiativen der EU. Auch in Österreich und auch in den Bundesländern wären wir ohne diese nicht so weit.

Einer der großen Rahmen in der EU-Klima- und Verkehrspolitik ist nach wie vor der European Green Deal, ein wirklich einzigartiger Meilenstein in der Geschichte der EU – dafür auch Gratulation an die Präsidentin. Vieles konnte bereits umgesetzt werden. Zuletzt hat die spanische Präsidentschaft noch wirklich wichtige Richtlinien zum Abschluss gebracht, wie zum Beispiel die Erneuerbarenrichtlinie. Diese wird umzusetzen sein, auch von irgendwelchen Regierungen, die mit Klimaschutz nichts am Hut haben. Das ist auch eine gewisse Beruhigung mit Blick auf die Europawahlen.

Vor gut einem Monat hat die Kommission richtigerweise nachgelegt und vorgeschlagen, die Treibhausgasemissionen bis 2040 um 90 Prozent – gegenüber den Werten von 1990, wohlgemerkt – zu reduzieren. Das ist wirklich wichtig und definitiv im Einklang mit wissenschaftlichen Gutachten, denn wir wissen, die letzten 10 Prozent sind die wirklich schwierigen. Für die letzten 10 Prozent werden wir dann Zeit genug brauchen, um das zu meistern. Österreich hat sich das für 2040 zum Ziel gesetzt. Das wird große Anstrengungen erfordern, das wissen wir, aber es ist möglich. Es ist jedenfalls möglich, wenn man will.

Ein bisschen zu den einzelnen Themen: Eine große Aufgabe ist die Neuregulierung der Elektrizitätsmärkte und vor allem des Gasmarktes, denn wir brauchen dringend gemeinsame Vorschriften für eine Versorgung mit erneuerbaren Gasen, respektive Wasserstoff. Da ist die EU schon weit vorangekommen.

Ein wichtiger klima- und wirtschaftspolitischer Legislativakt ist der Vorschlag für die Verordnung über CO2-Emissionsnormen für schwere Nutzfahrzeuge. Das finde ich sehr spannend. Die Kommission sieht eine schrittweise Verschärfung der Emissionsnormen vor, und zwar bis 2035 um 65 Prozent, insgesamt bis 2040 um 90 Prozent.

Warum sage ich das? Es ist wirtschaftspolitisch für die Hersteller besonders wichtig, um planen zu können, um sich darauf verlassen zu können, um einen Innovationsvorsprung zu generieren. Da geht es ja um Milliardeninvestitionen. Es muss also sicher sein, dass das sitzt.

Es sind immer wieder diese Debatten da: Ja, der Elektroantrieb, das soll wieder aufgeweicht werden. Bis zu einem gewissen Grad ist ja – angeführt von der FDP in Deutschland – das Ziel leider erreicht worden. Das ist kontraproduktiv.

Nur ein Beispiel: Regierungschef Sunak in Großbritannien hat das – das war ein Gesetzesakt in Großbritannien – für 2030 aufgelockert.

Wissen Sie, wer sich über die Auflockerung aufgeregt hat? – Die Autoindustrie. Warum? (Bundesrat Spanring: Ja! Deshalb geht es nicht! Danke, Herr Gross! Wegen der Großindustrie!) – Weil sie sagen: Hey Leute, was ist jetzt los? Da geht es um eine Transformation, die zig Milliarden kostet, und jetzt sagt ihr, na, es ist doch nicht sicher, wohin wir gehen! – Das geht nicht, das ist absolut kontraproduktiv.

Allein deswegen sind gerade auf europäischer Ebene solche klaren Rahmenbedingungen ganz, ganz wichtig. So, und wie das dann technologisch umgesetzt wird, das ist ja dann wieder eine Frage des Wettbewerbes, aber genau diese Rahmen sind eigentlich eine Versicherung, auch wirtschaftspolitisch. Übrigens auch da gilt eine Vorbildwirkung, städtische Busse müssen bis 2035 bereits zu 100 Prozent emissionsfrei sein.

Sehr spannend finde ich auch den Richtlinienvorschlag zur Vermeidung von Lebensmittel- und Textilabfällen. Wie wir wissen – auch das kommt ja nicht von ungefähr – sind gerade diese Sektoren besonders ressourcenintensiv, und andererseits sind diese Sektoren mit sehr, sehr hohen Wegwerfraten konfrontiert – wir wissen es bei den Lebensmitteln, wir wissen es bei den Textilien. Darum ist das sehr, sehr richtig, da europaweit gegen diese Verschwendung, dieses Wegwerfen vorzugehen.

Beschlossen wurde vor Kurzem die Richtlinie über Umweltaussagen, man könnte ja auch besser sagen, die Antigreenwashingrichtlinie. Auch das ist ganz, ganz wichtig. In Zukunft sind nicht belegte Umweltaussagen nicht mehr erlaubt. Sie kennen das von Verpackungen, ganz viel davon, was sich da als umweltfreundlich und neutral und whatever ausgibt, ist nicht belegt, hat keine Studien im Hintergrund. Das ist wirklich ganz wichtig im Sinne des Konsumentenschutzes, dass sich die Konsument:innen darauf verlassen können, dass das, was draufsteht, auch stimmt, denn niemand – ich auch nicht – ist in der Lage, zu überprüfen, was auf diesen Verpackungen draufsteht. Das muss einfach eine klare Vorgabe sein.

Hinweisen möchte ich noch auf das Paket zur Kreislaufwirtschaft. Da geht es zum Beispiel um Maßnahmen zur Vermeidung von unnötigen Verpackungen, zur Förderung von wiederverwendbaren und nachfüllbaren Verpackungslösungen, und es beinhaltet in einer Verordnung das Ziel, dass alle Verpackungen auf dem gesamten europäischen Markt 2030 wirtschaftlich recycelt werden können. Das finde ich schon sehr spannend. Genau das ist eine Art von Vorgabe an die Industrie, die, denke ich, sehr spannend ist, die Planungssicherheit bietet, aber natürlich auch hinreichend Raum für Innovationen und darüber nachzudenken lässt, wie das am besten zu lösen ist.

Es soll nicht verschwiegen werden, dass es auch wichtige Vorhaben gibt, die nicht gelingen, respektive von einzelnen Staaten blockiert werden, so muss man es ja formulieren. Das betrifft etwa den finalen Beschluss der Richtlinie zur Wiederherstellung der Natur, das ist ein sehr wichtiger Rahmen für die Stärkung der Biodiversität, des Bodenschutzes, meines Erachtens auch für die Landwirtschaft, gerade wie sie bei uns stattfindet, wenn auf so etwas auch hohe Rücksicht genommen wird. – Wer weiß, vielleicht wird es ja noch.

Das Wohl Österreichs – ich möchte das am Schluss noch einmal betonen –hängt unmittelbar von der Entwicklung der Europäischen Union ab. Nur eine fortschrittliche, solidarische, ökologische Union mit einer gestärkten Demokratie wird global zeigen können – und darum geht es –, dass ein anderer, friedlicher Weg möglich ist. – Arbeiten wir daran! (Beifall bei den Grünen und bei Bundesrät:innen der ÖVP.)

Präsidentin Margit Göll: Zu Wort gemeldet ist Bundesrat Markus Stotter. Ich erteile ihm dieses.